Warum New Work schon in der Schule beginnt
Ich darf mich seit so vielen Jahren mit der Zukunft der Arbeit beschäftigen. Aber heute morgen ist mir mal wieder klar geworden: Das Thema beginnt viel früher, nämlich schon in der Schule. Bei aller Euphorie rund um New Work dürfen wir nicht vergessen, uns auch um „New School“ zu kümmern. Oder um „New Work in School“.
„Schule macht uns kaputt!“
Meine Tochter Anna Sophie ist jetzt 17 Jahre alt und geht auf ein staatlich anerkanntes privates Gymnasium. Sie erzählt mir heute Morgen auf dem Weg in die Schule:
„Es gibt so viele kaputte Kinder und Jugendliche da draußen, das macht mir Angst. Was soll denn später aus denen werden? Die Schule verbiegt uns und viele von uns zerbrechen. Die Lehrer folgen einem Lehrplan, der aus einer Zeit stammt, in der Kinder auf ein Leben als angepasste Erwachsene vorbereitet werden sollten. Aber wir wollen gar nicht so werden, wie die meisten Menschen heute sind. Wir wehren uns dagegen mit aller Kraft, aber sie zwingen uns, dass wir uns dem System unterordnen. Wir kämpfen als Schüler gegen die Lehrer und am Ende gegen unsere eigenen Mitschüler. Aber ich glaube, wir sollten uns eher gegenseitig helfen, damit keiner auf der Strecke bleibt. Die Lehrer sind überfordert, die Schüler am Ende. Schulnoten erzeugen Wettbewerb. Aber ich will gar nicht besser sein, als jemand anders. Ich will einfach nur gut sein. Gut als Schüler, gut als Mensch. Schule erzieht uns nicht zu guten Menschen, sie macht uns einfach nur kaputt…“
Als ich sie an der Schule absetze, küsse ich ihre Stirn, hauche ihr ein „Ich liebe Dich!“ ins Ohr und entlasse sie in einen weiteren düsteren Schultag, dessen Highlight der Austausch mit Gleichaltrigen und das Erlernen von sozialen Kompetenzen sein wird – wohlgemerkt ein Lernen, das weitestgehend autodidaktisch erfolgt, da es nicht Teil des Lehrplans ist. Mir ist nach Heulen zumute. Es macht mich so wütend. Es war ja schon damals zu meiner Schulzeit (Abitur 1985) eine Quälerei. Aber unsere Welt in den Achtzigern und Neunzigern war bei weitem nicht so schnell und laut und fordernd wie die heutige. Die meisten von uns haben ihren Weg gefunden. Aber die Diskrepanz zwischen dem, was unsere Kinder heute für ein gelingendes oder zumindest zufriedenes Leben benötigen und dem, was sie in der Schule beigebracht bekommen, ist so unfassbar groß geworden. Schule bereitet nicht auf ein gelingendes Leben vor! Weder damals noch heute.
André Stern, unter Schulkritikern wie Richard David Precht ein vielbeachteter Mensch, der selbst keine Schule besucht hat und aus dem dennoch etwas wurde, sagt dazu: „Das Kind leidet darunter, dass es sehr schnell die Erfahrung macht: Man liebt mich mehr, wenn ich dem entspreche, was man von mir erwartet. Anders gesagt: Ich gebe meine Kindheit auf, zugunsten von dem, was der Erwachsene unter Kindheit versteht. So hat man keine Kindheit mehr.“
Wo könnte denn eine Schnittmenge sein, zwischen dem, was wir im Berufsleben unter der Überschrift „New Work“ die letzten Jahre gelernt und erfahren haben und dem Versuch der Beseitigung des täglichen Dramas an deutschen (europäischen) Schulen? Was geschähe, würde man Talente und Leidenschaften von Kindern und Jugendlichen als Parameter für die Gestaltung des Unterrichts nehmen und nicht Lehrpläne aus dem letzten Jahrhundert (!), die dann auch noch lieblos von unmotivierten oder demoralisierten Lehrern vorgetragen werden? Was wäre denn mit einem Notensystem von Schülern für Lehrer – nur, damit die sich daran erinnern, wie häufig Selbstbild und Fremdbild voneinander abweichen? Und überhaupt: LehrerIn sollte m.E. der bestbezahlte Beruf der Welt sein! Denn LehrerInnen verbringen häufig mehr Zeit mit unseren Kindern als wir selbst. Würde man diesen Beruf monetär als das anerkennen, was er sein könnte und sein sollte, würden viele Menschen, die heute ihre Erfüllung in der Wirtschaft suchen, in die Bildung und an die Schulen wechseln. Mich eingeschlossen!
Ich fürchte, es ist noch ein langer bis sehr langer Weg, bevor sich an den Schulen substanziell etwas verändert. Vielleicht können ja die SchülerInnen selbst einen Beitrag leisten zu einer beschleunigten Veränderung. Als ich jung war, gab es diesen wundervollen Spruch der Friedensbewegung: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“
Greta Thunberg hat es der Welt vorgemacht: Schulstreik! Hat ganz wundervoll funktioniert, obwohl es primär ja gar nicht mal was mit Schule zu tun hatte. Also, ihr frustrierten Kids da draußen, denkt mal darüber nach - Ihr beruft euch auf die Pflicht zum zivilen Ungehorsam. Aber erzählt keinem, dass ihr die Idee von mir habt. Die ist in ihren Grundzügen nämlich schon 175 Jahre alt. Schon 1849 veröffentlichte der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau ein Essay mit dem Titel „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“. Mit diesem Gedankengut seid ihr in sehr prominenter Gesellschaft, denn Thoreau gilt als Inspirationsquelle für die Friedensbewegungen von Martin Luther King und Mahatma Ghandi. Also: Schulpflicht hin oder her – die Pflicht zum zivilen Ungehorsam ist größer!
Man darf nicht vergessen, dass die 68er bei ihrem Marsch durch die Institutionen mittlerweile dort angekommen sind, wo sie heute überraschenderweise auf den zivilen Ungehorsam der "New Work" Generation treffen. NewWork kritisiert also genau die Generation, die es sich einstmals auf die Fahnen geschrieben hatte, durch das System zu marschieren, das sie einstmals durch ihren zivilen Ungehorsam kritisiert haben. Und heute treffen sie auf eine Jugend, die sie kritisiert. Der Schulterschluss von New Work und Alt-68 funktioniert nicht. Im Gegenteil.
Viel von dem, was damals als Errungenschaft gepriesen wurde, ist heute der schonungslosen Kritik ausgesetzt, weil es eben gnadenlos veraltet ist.
Das wird zum Beispiel daran deutlich, dass Greta Thunberg die Anti-Atomkraft Bewegung mit einer einzigen Bemerkung atomisiert hat: Sie…